Gezeichnet fürs Leben


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Es ist Sommer und es wird viel Haut gezeigt und Tattoos, die längst Mode und gesellschaftsfähig geworden sind. Man sieht kaum mehr jemanden, der nicht tätowiert wäre. Für mich als Ästhetin ist dieser Körperkult aber alles andere als schön! Neulich ging ich an unserem prächtigen Standesamt im Zofinger Rathaus vorbei, da kam eine junge Braut mit einem wunderschönen, weissen Spitzenbrautkleid die Treppen herunter. Leider waren ihre Arme komplett farbig tätowiert. Aua…. Das hat meinen Augen richtig weh getan. Betrachten wir diese Körperkultur, die bereits die Alten Ägypter mit Lampenruss, vermischt mit Öl und Wasser, praktizierten, aus dem Blickwinkel der Gesundheit: Die Lymphkoten unter den Achselhöhlen werden oft zur zweiten Heimat der Farbe. Sie nehmen das ganze Farbspektrum der Tätowierungen auf und je mehr Farbpigmente sich dort ablagern, desto mehr schwellen sie an. Schon deshalb würde ich mich dieser Prozedur niemals freiwillig aussetzen und meinen Körper so malträtieren. Hinzu kommt, dass die Tinte Schadstoffe enthält, die potenziell gefährlich oder giftig sind – Schwermetalle wie Arsen, Nickel, Kobalt, Verunreinigungen und verbotene Konservierungsstoffe. Die Haut wird beim Tätowieren oberflächlich verletzt und so wird Tür und Tor für Krankheitserreger wie Bakterien, Viren oder Pilze geöffnet. Ich verstehe echt nicht, warum man sich das antut. Das ganze Prozedere ist ja in der Regel auch schmerzhaft: Mit einer Geschwindigkeit von 120 Stichen pro Sekunde stechen die Tätowierer Farbe unter die Haut. Die Nadeln durchdringen die oberste Hautschicht und drücken die Tinte in die sogenannte Dermis – eine ledrige Schicht, die ungefähr einen bis drei Millimeter unter der Hautoberfläche liegt. In 90 Prozent der Fälle verbleibt die Farbe aber nicht vollständig in dieser ledrigen Hautschicht, sondern verteilt sich im ganzen Körper. Oft reagiert die Haut an den Tattoos mit Entzündungen. Das Immunsystem erkennt die Farbstoffe als Fremdkörper. Die schlauen Abwehrzellen umschliessen die Pigmente der Farbe und bringen sie über die Blutbahn zu den Lymphgefässen.

    Tätowierungen sind auch heute mehr als rein dekorativer Schmuck, sie sagen etwas über den sozialen Stand und das Selbstbildnis ihrer Trägerinnen und Träger aus. Sie sind dauerhaft, man kann sie nicht wie einen Ring oder eine Halskette einfach wieder ablegen und sie sind auch nicht abwaschbar – man ist gezeichnet fürs Leben! Seeleute, Fremdenlegionäre, Mafiosi, Mitglieder von Rockerbanden, Angehörige der SS und andere nutzten Tätowierungen als Zeichen der Zusammengehörigkeit. Im NS-Konzentrationslager Auschwitz wurde den Häftlingen eine Nummer auf den Arm tätowiert, um geflohene Häftlinge oder Leichen ohne Kleidung zu identifizieren. Manchmal soll eine Tätowierung aber auch Ausdruck von Protest sein. Man möchte nicht so sein wie andere und zeigt es mit einem (oder mehreren) Hautzeichen. Doch inzwischen tut es fast jeder Zweite – Schauspieler, Sänger, Sportler lassen sich genauso tätowieren wie Bankangestellte, Polizisten und Studenten. Heute jedoch sind Tattoos leider kein blosses Unterschichtenphänomen mehr – so feiern die Medien Tattoos der Reichen und Schönen sogar als besonders sexy.

    Ähnlich wie beim Piercing und der grossartigen Idee, sich die Haare blau färben zu lassen, handelt es sich beim Kult der Tattoos um eine unfreiwillige Parodie auf Self-Design. Selbstdarstellung ist in der modernen Gesellschaft entscheidend wichtig, aber es kommt dabei auf das Wie an. Schuld an dem schrecklichen Bild ist das grosse Missverständnis «Individualität». Alle wollen Individuen sein, sich aus der Menge herausheben und auffallen. Wieso sich dafür nicht wie ein Indianerhäuptling im Kampfmodus tätowieren lassen – denn so wird man doch bestimmt zum Mittelpunkt und ist ein Blickfang. Es lebe der fröhliche Exhibitionismus! Doch wer tätowiert ist, dem ist die Selbstdarstellung missglückt. Er trägt ein Brandzeichen, weil es ihm nicht gelungen ist, sich selbst zur Marke zu machen. Ich bin stolz auf meine elfenbeinfarbene Haut – ohne Tätowierung. Tattoos haben für mich – auch wenn sie längst salonfähig geworden sind – den fahlen Beigeschmack des Anrüchigen, Einengenden, Lasterhaften, mal abgesehen von der ästhetischen Zumutung. Nur so wie mich die Natur vorgesehen hat, bin ich frei. Aber eben, jedem das Seine!

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

    Vorheriger ArtikelSchweizer Äpfel sind dieses Jahr früh und noch nachhaltiger
    Nächster Artikel«Wir investieren viel in Nachhaltigkeit und die Digitalisierung!»